Description:Q173

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Der Schlüssel zum Verständnis des Gesamtprogramms des Weikersheimer Saals der Renaissance ist das Deckengemälde „A1“ mit der Darstellung Orpheus im Kreis der Tiere. Orpheus war ein Sohn der Muse Kalliope, gefördert durch Apoll, der manchen Überlieferungen zufolge auch als sein Vater gilt. Mit seiner Fähigkeit, allein durch die Macht der Poesie und den Klang der Lyra wilde, einander mordende Tiere zu bezähmen, galt er seit der Antike und erneut im Humanismus als Sinnbild des guten Regenten. Horaz verglich ihn in seiner Ars poetica (391–400) mit dem weisen Herrscher, der sich dadurch auszeichne, dass er Privates von Öffentlichem trenne, Heiliges von Irdischem scheide, wüste Begierden beschränke, das Recht des Ehebunds bestimme, Städte errichte und Gesetze erlasse.[1] Seine Mittel waren nicht Krieg und Willkür, sondern Rhetorik, Philosophie und Wissenschaft, mithin die Gefilde seiner Mutter Kalliope.

In Weikersheim wurde Orpheus als verantwortungsvoller Regent gleich mehrfach auf Graf Wolfgang II. bezogen. Wegweisend war der Anbringungsort des Gemäldes an der Decke unmittelbar über dem Kamin. Wie oben dargestellt, repräsentierte der Kamin mit der Devise des Grafen und der beidseitig darüber aufgehenden Ahnenprobe von Graf und Gräfin stellvertretend und über die Zeiten hinweg Graf Wolfgang II. von Hohenlohe-Weikersheim. Hinzu kamen die porträthaften Züge des Orpheus, die in ähnlicher Weise in einigen der Jagddarstellungen wiederkehren. Der Reiter mit den Gesichtszügen des Orpheus alias Graf Wolfgang erscheint dabei stets als Retter seiner Untertanen. Im Bild „A4“ bekämpft er in der Dynamik eines heiligen Georg einen wilden Stier, der zuvor einen Mann getötet hat.

Die körperlich stärkste Verknüpfung schufen die plastisch stuckierten Tiere entlang des Obergadens, denen der Weikersheimer Saal seine überregionale kunsthistorische und touristische Bekanntheit verdankt.[2] Was bisher noch gar nicht erkannt wurde, ist der Sachverhalt, dass die dreidimensionalen, dort friedlich neben- und hintereinanderliegenden Tiere diejenigen sind, die Orpheus auf dem Gemälde mit seiner Lyra besänftigt und in eine friedliche Ordnung gebracht hat. Die Tiere richten sich, wie eingangs dargelegt, auf die Kaminwand aus. Ihren Bezugspunkt stellte die Kaminwand jedoch nur als Bedeutungsträger dar. Vermittelt durch den Kamin mit seiner konfessionell bestimmten Devise und der darüber aufgehenden Ahnenprobe war es der Graf persönlich, auf den sich die gezähmten Tiere ausrichteten, die von ihm demnach gezähmt wurden. Die Dreidimensionalität der Tiere bezog sich somit auf die Gegenwart des Grafen auch im Fall seiner körperlichen Abwesenheit.

Die Jagd als landesherrliches Regal war in der Frühen Neuzeit positiv besetzt. Die Gefährlichkeit der Tiere und das Domestizieren des Wilden legitimierten die Jagd und damit auch die politische Herrschaft. Der Herrscher sorgte sich um seine Untertanen. Diese hatten in der Jagd ihr Auskommen jeder auf seine Art. Alle Arten der Jagd fanden in Weikersheim in blühenden Landschaften statt. Sie standen für eine wohlgeordnete, friedliche Herrschaft.

[1] Vgl. etwa die Übersetzung von Th. Kayser, Stuttgart 1888. Exemplarisch erläutert diesen Zusammenhang anhand der Skulptur des Orpheus von Baccio Bandinelli in Florenz: Langedijk, Orpheus, 1976, S. 37–38.

[2] Speziell zu den Tieren beispielsweise Laß, Tier, 2016.