Description:Q198
Thema des Deckengemäldes, das Johann Valentin Weiß am 3. September 1712 abrechnen konnte[1] ist Aurora im Kreis der olympischen Götter mit Castor und Pollux. In der Mitte des Breitformats, das auf einen Betrachter ausgerichtet ist, der vom Vorzimmer den Raum betritt, schwebt vor einer dunklen Wolke Aurora. Sie trägt ein nachtblaues Gewand und einen zartlila Schleier, sodass die Farben Auroras Stellung zwischen Nacht und Tag veranschaulichen. In den Händen hält sie Tulpen und Rosen, die sie zur Erde gleiten lässt. Weitere Gottheiten umgeben sie zumeist halbfigurig in kleinen Gruppen auf Wolkenbänken. Dem Maler ist keine Gesamtschau dieser Götterversammlung gelungen, sodass sich die versatzstückhaft angeordneten Götter auf zwei weitere Ansichten, zusätzlich zu der vom Vorzimmer kommenden, aufteilen. Sie rechnen mit einem Betrachter sowohl vom Prunkkabinett kommend als auch auf das Prunkkabinett blickend. Das Gemälde weist also drei Betrachterstandpunkte auf.
Der Blick vom Prunkkabinett kommend zeigt als Hauptgruppe Jupiter mit Juno und Venus. Jupiter ist als bärtiger Mann mit wallendem Haar, entblößtem Oberkörper und rotem Gewand geschildert. Hinter ihm lugt der ihn begleitende Adler hervor. In seiner Rechten hält Jupiter das Blitzbündel. Neben ihm steht Juno mit dem Pfau. Sie ist ausgesprochen hübsch geschildert, blond mit hellblauem Gewand. Da sie einen Ohrring trägt, könnte es sich bei ihr um ein fiktives Rollenporträt der bei der Konzeption des Gemäldes möglicherweise noch lebenden ersten Gemahlin, oder aber der erhofften, wenngleich noch nicht feststehenden zweiten Gemahlin handeln. Juno ist die Beschützerin der Ehe, was ein solches Rollenporträt rechtfertigen würde. An Juno vorbei zeigt Jupiter auf Venus, die an ihren entblößten Brüsten und vor allem ihrem Begleiter Amor mit Pfeil und Bogen zu erkennen ist. Ansonsten ist Venus ungewöhnlich unattraktiv geschildert. Sie trägt ein braunes Gewand, ihr Gesicht ist verschattet. Die beiden ihr zugehörenden Turteltauben fliegen über ihrem Kopf.
Unterhalb von Jupiter, Juno und Venus sitzen Pan und Bacchus, wobei letzterer eine unbekleidete Gespielin im Arm hält. Links neben Jupiter sitzen Mars (mit Helm) und Saturn als alter Mann, der aber merkwürdigerweise in der Art des Bacchus einen Blätterkranz im Haar trägt. Rechts von Venus erscheint angeschnitten eine blau gekleidete Frau mit nacktem Busen, die sich auffordernd in ihr langes wehendes Haar greift. Ihr Pendant am gegenüberliegenden Bildrand hat in einem ebenfalls blauen Gewand züchtig die Augen gesenkt. Sie hält einen umwickelten Gegenstand (ein Wickelkind?) in den Händen.
Eine weitere wichtige Gruppe befindet sich oberhalb von Jupiter. Hier kommt der weiblich geschilderte Götterbote Merkur mit Flügelhelm und Caduceus herangeflogen, um einem nicht näher bezeichneten Paar eine Mitteilung zu machen. Da Merkur das Gesicht einer Frau hat, könnte es sich auch um die Götterbotin Iris handeln. Der Caduceus ist als Trompete geschildert, die von zwei Schlangen umwunden wird. Bei dem Paar, das die Nachricht dankbar entgegennimmt, könnte es sich um Stellvertreter des Grafenpaars handeln, die die glückliche Nachricht ihrer baldigen Elternschaft erhalten.
Der Blick auf das Deckengemälde mit dem Prunkkabinett im Blick zeigt von links ins Bild kommend die Fruchtbarkeitsgöttin Kybele. Sie ist an der Mauerkrone und an den beiden Löwen als Zugtiere ihres Wagens zu erkennen. Die Zügel hält sie zusammen mit einer weiteren Frau, die nicht näher bezeichnet ist. Unter den kräftigen, lebendig geschilderten Löwen kringeln sich zwei Schlangen. Von rechts kommen die Zwillinge Castor und Pollux stürmisch herangeritten. Vielleicht sollen sie den ersehnten männlichen Nachwuchs versinnbildlichen.
Die Zuweisung an Johann Valentin Weiß ist plausibel, da auch in diesem Deckenbild, wie schon im Bild des von Aurora geraubten Kephalos in R. 91, die Tiere und Blumen besonders gut geschildert sind. Der Verkürzung des menschlichen Körpers an der Decke war Weiß jedoch nicht gewachsen. Zudem ist anzunehmen, dass er für einzelne Gruppen auf Vorlagen zurückgriff. Die muskulösen Partien von Bacchus und Pan gemahnen ebenso an das Stichwerk zur Galleria Farnese wie die herbeifliegende Venus. Das in Augsburg im Verlag von Johann Ulrich Kraus nachgestochene Stichwerk zur Galleria Farnese gab für den Raub des Kephalos durch Aurora in R. 91 die genaue Vorlage ab.
Trotz der malerischen Unzulänglichkeiten beeindruckt die individuell zusammengestellte Ikonographie des Deckengemäldes. Sie zielte auf Fruchtbarkeit in der Ehe und erhofften männlichen Nachwuchs, mithin die beiden wichtigsten Aufgaben einer Fürstin in der Frühen Neuzeit. Das Deckengemälde erflehte den Fortbestand der Dynastie.
[1] HZAN We 113 Bd. 15 1712/13, Kammerrechnungsbuch, Nr. 179: „Wegen deß in das Gemach, ober halb der Tafel Stuben, von Johann Valentin Weißen zu Würtzburg, allhier gemachten Gemähldes, habe laut gnäd. unterzeichneten Beleegs vom 3. 7br. 1712 bezahlet 48 fl.“. Kenntnis und Transkription dieser Quelle verdankt die Autorin Elke Valentin.